Die Bedeutung der Wirtschaft Europas und europäischer Politik

 

Nicht nur die europäische Zivilisation ist führend in der Welt, sondern – noch – auch Europas Wirtschaft: Die EU ist heute der größte Wirtschaftsraum der Welt, 1,2 Mal so groß wie der der Vereinigten Staaten von Amerika, doppelt so groß wie der Chinas und dreimal so groß wie der Japans. Die Europäische Union steht für sieben Prozent der Weltbevölkerung, ein Viertel der Wirtschaftsleistung der Welt, mehr als ein Drittel des Welthandels, die Hälfte der Welt-Sozialausgaben – auch das eine ganz besondere europäische Errungenschaft. Fast ein Viertel der Welt-Währungsreserven werden in Euro gehalten. Allein in China dürften es knapp 700 Milliarden Euro sein. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der EU ist von 2000 bis heute mit 3,2 Prozent jährlich stärker gewachsen als das der amerikanischen mit drei Prozent und das Japans mit 2,9 Prozent (allerdings nach 2008, dem Jahr der Finanzkrise, nur noch um 2,4 Prozent). Europa hat also auch wirtschaftlich keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Aber natürlich nur, wenn es seine Einigung weiter intelligent vorantreibt. Denn Europas Bevölkerung altert und schrumpft, und auch sein Anteil am Weltprodukt wird sinken.

 

Umso mehr zählt gemeinsame europäische Politik. Umso mehr muss Europa die Bedeutung europäischer Zivilisation und Kultur für die Welt erhalten und stärken, wo immer das möglich ist. Mein Essay habe ich „Europas Werte, Europas Wirtschaft“ genannt, weil ich glaube, dass eine Wirtschaftsgemeinschaft eine Wertegemeinschaft sein muss, damit sie langfristig auch als politische Gemeinschaft Erfolg hat. Also wie im Vertrag von Maastricht, wo es heißt: „Die Union beruht auf Freiheit, Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten.“ Oder in der Europäischen Grundrechtecharta, die die europäischen Institutionen bindet und die mit demselben Satz beginnt wie das deutsche Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Anders formuliert: Es zählt, dass sich alle an denselben Werten orientieren. Genau das lehrt die Krise. Akropolis, Kapitol und Golgatha sind zeitlos aktuell.

 

Es stimmt: Europa erlebt derzeit einen Vertrauensverlust. Aber entscheidend ist doch, in welchen Bereichen das Vertrauen erodiert: Nach meiner Wahrnehmung wird nicht die „Idee Europa“ in Frage gestellt. Der Vertrauensverlust betrifft die praktische Umsetzung dieser Idee. Mangelndes Vertrauen ist nicht die Ursache der Probleme in Europa, sondern ihre Folge. Also kann Europa mehr Vertrauen nur durch bessere Politik gewinnen.

 

Wie schwierig das ist, zeigt ein Beispiel: Euroland ist nicht gleich Schengen-Land, und die EU ist mit beiden nicht identisch. Es geht aber noch komplizierter: Norwegen ist nicht Mitglied der EU, nimmt aber am Schengen-Verfahren teil. Genau andersherum Großbritannien: Es ist zwar EU-Mitglied, nimmt aber nicht an Schengen teil. Wenn man von München nach London fliegt, muss man einen Pass vorzeigen, obwohl man die EU nicht verlässt. Wenn man aber in Oslo landet, braucht man den Pass nicht, obwohl man die EU verlassen hat.

 

Gleichzeitig gibt es aber längst ein selbstverständliches Gefühl von Zusammengehörigkeit. Unionsbürger billigen sich mit großen Mehrheiten wechselseitig die gleichen politischen und sozialen Rechte und Pflichten zu. Man macht kaum noch einen Unterschied zwischen Menschen aus München oder Madrid. Damit verschwindet innerhalb der EU schlicht das Konstrukt des „Ausländers“. Offenbar ist vielen Europäern die Unionsbürgerschaft, die es seit „Maastricht“ gibt, geläufiger, als ich erwartet hätte.

 

Optimismus ist wichtig. Europas Werte nehmen als Kompass für die Welt eine herausragende Rolle ein, üben weiterhin eine große Anziehungskraft aus. Und damit das so bleibt, muss Europa zusammenstehen. Nur als Gemeinschaft der Europäer wird dieser Kontinent dauerhaft Kraft, Gewicht und Zukunft haben.

 

Gleichzeitig wird Europa mit Aufmerksamkeit und Respekt den schnell wachsenden Beitrag der übrigen Welt – allen voran Chinas, Japans und des übrigen Asiens, weiterhin Nord- und Südamerikas und zunehmend Afrikas – zur Entwicklung unserer Zivilisation achten, konstruktiv werten, in die eigene Wirklichkeit aufnehmen und weiter tragen.